Zofia Walulewicz (1892 – 1980)
In der Kleinstadt Święciany bei Wilno, Ostpolen, lebte Michał Walulewicz mit seiner Ehefrau Zofia, der taubstummen Tochter Irena und zwei Söhnen. Die vermögende Familie gehörte zum gehobenen Mittelstand. Im Ort bekleidete Michał Walulewicz das Amt des stellvertretenden Bürgermeisters. Zdzisław, einer der Söhne, wurde 1941 von der faschistischen litauischen Kriminalpolizei ermodet, 1942 auch Michał Walulewicz. Nur die Mutter Zofia ist mit ihrer taubstummen Tochter im Haus geblieben. Ihren Lebensunterhalt verdienten die Frauen mit Näharbeiten und vom Verkauf des selbstgebrannten Schnapses.
Die Jüdin Golda Buszaniec, geborene Fejgel, wurde 1943 zusammen mit ihrer Familie aus dem Ghetto Święciany ins Ghetto Wilno, dann ins Lager deportiert. Während des Rückmarsches von der Zwangsarbeit ins Lager beschloss sie mit ihrem Mann, getrennt zu fliehen. Golda ging zurück nach Święciany und wurde auf dem Dachboden im Haus ihrer Bekannten Zofia Walulewicz versteckt. Golda half beiden Frauen bei den Näharbeiten – sie wurden sehr gute Freundinnen. Zu dieser Zeit wurde ins Haus der Familie Walulewicz ein deutscher Offizier einquartiert. Ahnte er etwas? Wahrscheinlich, aber er war nicht so wie die Anderen. Jedes Mal, wenn Irenas Mutter ins Gefängnis kam, holte er sie, dank seiner Beziehungen, wieder heraus.
Als es für alle Beteiligten zu gefährlich wurde, floh Golda in die Wälder, wo sie ihren Mann Szymon wiederfand. Nach dem Krieg übersiedelten beide nach Israel. Mutter Zofia und Tochter Irena emigrierten aus dem nun russischen Heimatort nach Polen und wohnten in Olsztyn. Irena und Golda trafen sich 2007 in den USA wieder. Frau Irena Walulewicz wurde dort mit der Auszeichnung „Gerechte unter den Völkern“ geehrt.
Das Namentuch
Das Tuch zeigt das Wohnhaus der Familie Walulewicz. Auf dem Dachboden sieht man die dort versteckte Jüdin Golda, eine Etage tiefer eine Mutter mit ihrer taubstummen Tochter Irena. Im Hintergrund steht ein deutscher Offizier, der bei den Frauen wohnte.
Quelle: Joanna Waṅkowska-Sobiesiak (2013). Moi Sąsiedzi (Meine Nachbarn), Wydawnictwo (Verlag) Borussia, Olsztyn.